Barrierefreiheit ist ein zentrales Thema in einer zunehmend digitalen und diversen Gesellschaft. Mit dem Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) am 28. Juni 2025 setzt Deutschland daher die EU-Richtlinie (European Accessibility Act) in nationales Recht um. Ziel ist es, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben zu stärken.
Ziel und Zweck
Das BFSG verfolgt das Ziel, einheitliche Anforderungen an die Barrierefreiheit bestimmter Produkte und Dienstleistungen im europäischen Binnenmarkt festzulegen. Durch die europaweite Harmonisierung der Standards sollen Hindernisse für Menschen mit Behinderungen systematisch abgebaut und gleichzeitig Wettbewerbsnachteile für Unternehmen vermieden werden. Barrierefreiheit wird damit nicht nur als gesellschaftliche Verantwortung verstanden, sondern auch als unternehmerischer Erfolgsfaktor.
Betroffene Unternehmen
Das BFSG richtet sich an alle Unternehmen, die verbrauchernahe Produkte oder Dienstleistungen entwickeln, herstellen, vertreiben oder bereitstellen. Die Verpflichtung zur Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen ergibt sich insbesondere aus § 1 Absatz 2 sowie den §§ 3 bis 5 BFSG. Sie gilt unabhängig davon, ob die Produkte oder Dienstleistungen physisch oder digital angeboten werden. Neben dem eigentlichen Vertrieb zählen auch Informationen, Support und die barrierefreie Nutzbarkeit zur Verpflichtung.
B2B-Angebote unterliegen nicht dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Allerdings muss klar ersichtlich sein, dass es sich um reine B2B-Angebote handelt und diese nicht an Verbraucher (im Sinne von § 2 Nr. 16 BFSG und § 13 BGB) verkauft werden.
Nicht-betroffene Unternehmen
Ausgenommen sind Kleinstunternehmen gemäß § 2 Absatz 1 Nummer 3 BFSG. Dies sind Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und (!) einem Jahresumsatz bzw. einer Jahresbilanzsumme von höchstens zwei Millionen Euro. Beide Schwellenwerte müssen gleichzeitig erfüllt sein. Diese Definition entspricht der EU-Empfehlung 2003/361/EG zur Einstufung von Kleinst-, kleinen und mittleren Unternehmen. Wird einer der Schwellenwerte überschritten – etwa durch die Anstellung eines elften Mitarbeitenden oder einen Umsatz über zwei Millionen Euro –, entfällt die Ausnahme. In diesem Fall sind alle Vorgaben des BFSG verbindlich umzusetzen.
Hinweis: Kleinstunternehmen sind zwar von den dienstleistungsbezogenen Anforderungen befreit, dürfen jedoch keine Produkte, die vom BFSG erfasst werden, selbst herstellen. Ansonsten entfällt die Ausnahmeregelung!
Kleinstunternhmen können freiwillig Maßnahmen zur Barrierefreiheit ergreifen. Sie unterliegen weiterhin allgemeinen Verpflichtungen, etwa im Hinblick auf den Diskriminierungsschutz und die barrierefreie Gestaltung öffentlich zugänglicher Geschäftsräume.
Anwendungsbereiche
Betroffen sind gem. § 1 BFSG Unternehmen aus folgenden Sektoren:
Hersteller, Händler und Importeure von elektronischen Geräten wie Computern, Tablets, Smartphones, Zahlungsterminals, Geldautomaten, Fahrkartenautomaten und anderen interaktiven Selbstbedienungssystemen
Anbieter digitaler Dienstleistungen, insbesondere:
- Telekommunikationsanbieter (z. B. Mobilfunk- und Internetdienste)
- Anbieter öffentlicher Notrufsysteme
- Betreiber von E-Book-Plattformen
- Anbieter von Online-Banking und digitalen Finanzdienstleistungen
- Betreiber von Online-Shops und Verkaufsplattformen (E-Commerce)
- Anbieter von Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr mit Verbrauchern (z.B. Online-Termin-Buchung, Hotelbuchung, Reisebuchung).
- Finanzdienstleister und Banken, die digitale Services wie Kontoeröffnung, Zahlungsabwicklung oder Kundenportale bereitstellen.
Unternehmen im Personenverkehr, die digitale Informations- und Buchungssysteme betreiben:
- Bahn- und Busunternehmen
- Fluggesellschaften
- Betreiber von Nah- und Fernverkehrssystemen
Darüber hinaus erstrecken sich die Anforderungen auch auf begleitende Informationen und Kommunikationskanäle (§ 5 BFSG), wie etwa Gebrauchsanleitungen, Websites, mobile Anwendungen und Kundenservice-Angebote.
Beispiele
- Ein Hersteller (z.B. von Schrauben) – unabhängig von der Anzahl der Mitarbeiter und der Umsatzgröße – ist nicht vom Gesetz betroffen. Denn die angebotenen Produkte (Schrauben) fallen nicht unter die erfassten Produkte des § 1 BFSG.
- Ein Online-Shop mit 2 Mitarbeitern und weniger als 2 Millionen Jahresumsatz ist nicht betroffen. Zwar wird die angebote Dienstleistung vom Gesetz erfasst, aber es gilt die Ausnahmeregelung für Kleinstunternehmen.
Hinweis: Sofern über einen Online-Shop Produkte, die in § 1 Abs. 2 BFSG genannt werden, vertrieben werden, müssen diese selbst allerdings barrierefrei sein! - Ein Handwerksbetrieb (z.B. Tischlerei) mit 9 Mitarbeitern und weniger als 2 Millionen Jahresumsatz ist nicht betroffen. Die angebotene Dienstleistung ist nicht in §1 BFSG erfasst und es gilt zusätzlich die Ausnahmeregelung für Kleinstunternehmen.
- Ein Handwerksunternehmen mit 11 Beschäftigten, das eine Terminbuchung über seine Website anbietet, ist betroffen. Denn das Unternehmen ist groß genug und es bietet Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr an.
- Ein Friseursalon mit 8 Beschäftigten, das eine Terminbuchung über seine Webseite anbietet, ist nicht betroffen. Denn das Unternehmen bietet Dienstleistungen an und ist zu klein.
- Ein Hersteller von EC-Cashgeräten mit 9 Beschäftigten ist betroffen. Er würde von der Mitarbeiterzahl zwar theoretisch unter die Kleinstunternehmerregelung fallen, allerdings ist er Hersteller von einem gelisteten Produkt gem. §1 BFSG. Die Ausnahmeregelung gilt daher nicht.
Pflichten und Maßnahmen
Die betroffenen Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Produkte und Dienstleistungen für Menschen mit verschiedenen Behinderungen ohne unzumutbare Erschwernisse zugänglich sind. Zu den wesentlichen Anforderungen zählen:
- Bereitstellung barrierefreier Webseiten und mobiler Apps
- Verwendung klarer, verständlicher Sprache
- Kompatibilität mit Hilfsmitteln wie Screenreadern
- Einhaltung technischer Normen, insbesondere der EN 301 549
- Offenlegung der Barrierefreiheitsmerkmale in Produktinformationen (§ 6 BFSG)
- Einrichtung nutzerfreundlicher Beschwerdemechanismen (§ 9 BFSG)
Die zuständigen Marktüberwachungsbehörden prüfen die Einhaltung dieser Vorgaben regelmäßig. Unternehmen sind verpflichtet, entsprechende Nachweise und Dokumentationen vorzuhalten.
Anforderungen
Anforderungen an Produkte (z.B. Mobiltelefone, eBook-Reader)
Wer ein Produkt wie etwa ein Mobiltelefon nutzen möchte, soll dies ohne Einschränkungen tun können. Daher gelten folgende Anforderungen:
- Steuerung, Orientierung und Kommunikation müssen über verschiedene sensorische Kanäle möglich sein (z. B. zusätzlich zur Schrift eine Sprachausgabe).
- Visuelle Elemente müssen in Größe, Helligkeit und Kontrast anpassbar sein.
- Es sollten alternative Farbdarstellungen angeboten werden.
- Die Lautstärke akustischer Signale muss individuell einstellbar sein.
- Die Bedienung muss auch bei eingeschränkter Feinmotorik möglich sein.
Anforderungen an Verpackung und Anleitung
Auch Verpackungen und Gebrauchsanleitungen unterliegen den gleichen Anforderungen:
- Informationen müssen in mehr als einem sensorischen Kanal bereitgestellt werden.
- Inhalte müssen für sehbehinderte Personen verständlich sein, insbesondere durch passende Schriftgrößen und Kontraste.
Zusätzliche Anforderungen an Selbstbedienungsterminals
Selbstbedienungsterminals wie Geldautomaten oder Fahrkartenautomaten müssen:
- eine Sprachausgabe ermöglichen,
- mit Einzelkopfhörern nutzbar sein,
- Tasten und Bedienelemente taktil erkennbar und visuell kontrastreich gestaltet sein.
Anforderungen an Dienstleistungserbringer (z.B. Online-Shop-Betreiber)
Bei Dienstleistungsanbietern gelten folgende Anforderungen an die Bereitstellung von Informationen. Diese müssen:
- über mehrere sensorische Kanäle zugänglich sein (z. B. schriftlich und per Vorlesefunktion),
- gut auffindbar und klar lesbar sein (Schriftgröße, Kontrast),
- barrierefrei gestaltet sein: Informationen müssen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein.
Grundsätzlich soll eine Wahrnehmung immer über mindestens zwei Sinne möglich sein.
Sanktionen
Bei Verstößen gegen die Bestimmungen des BFSG drohen spürbare Konsequenzen. Die Marktüberwachungsbehörden der Länder sind gemäß §§ 11–13 BFSG befugt, Maßnahmen zu ergreifen und Sanktionen zu verhängen.
Mögliche Folgen bei Nicht-Einhaltung sind:
- Schriftliche Verwarnungen
- Anordnungen zur Mängelbeseitigung
- Vertriebsverbote (§ 14 Absatz 1 BFSG)
- Geldbußen bis zu 100.000 Euro (§ 15 Absatz 2 BFSG)
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass Verstöße öffentlich bekannt gemacht werden, was das Unternehmensimage nachhaltig schädigen kann. Es ist daher ratsam, frühzeitig interne Strukturen und Prozesse zur Einhaltung des Gesetzes zu etablieren.
Fazit
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu einer inklusiveren Gesellschaft. Unternehmen, die sich rechtzeitig auf die neuen Anforderungen einstellen, sichern nicht nur ihre Rechtskonformität, sondern stärken auch ihre Wettbewerbsfähigkeit und Kundenbindung. Barrierefreiheit wird so zur strategischen Chance – für mehr Teilhabe, Innovation und Zukunftsfähigkeit.
Kontakt
Dreyfield Deutschland GmbH
Zuletzt geändert am: 12. April 2025
Beratungsfelder: Nachhaltigkeit & Umweltschutz